Wing Tsun

Wing Tsun

ist ein im frühen 17. Jahrhundert entstandener chinesischer Kampfkunststil, welcher im Westen oft als Kung Fu bezeichnet wird.

Wing Tsun ist ein äußerst populärer Stil für den Nahkampf, der die Grundlage für Bruce Lees Kampfstil und Philosophie bildete.

Einer Legende nach wurde Wing Tsun vor ca. 300 Jahren von einer Nonne erfunden, die das System der jungen Yim Wing Tsun beibrachte, da diese zwangsweise mit einem örtlichen Kriegsherrn verheiratet werden sollte. Man räumte ihr jedoch die Möglichkeit ein, ihre Freiheit zurückzugewinnen, sollte es ihr gelingen, den Kriegsherren in einem Kampf zu besiegen. Überraschenderweise gewann sie den Kampf, heiratete ihre Jugendliebe und lehrte ihn ihr System.

Ihr zu Ehren benannte er es Wing Tsun ("Ode an den Frühling" auch "schöner Frühling") und sorgte für dessen Verbreitung. Eine andere Version der Entstehungsgeschichte besagt, dass sich einige sehr gute Kung Fu-Kämpfer im alten China in einem Kloster in der

"Halle des immerwährenden Frühlings"(Weng Chun Tong) trafen und dort zusammen diesen, für den Nahkampf ausgelegten Stil, entwickelten.

9 Gründe warum das Erlernen von Wing Tsun zu empfehlen ist:

1. Wing Tsun ist das praktischste und vielleicht wirksamste Nahkampfsystem überhaupt. Schenkt man der Legende glauben, so wurde es von der besten Shaolin-Kämpferin entwickelt, um die Shaolin-Kung-Fu-Stile zu besiegen.

2. Wing Tsun ist von der Struktur (Erlernbarkeit, Bewegungsausführungen) doppelt so schnell wie traditionelle Systeme.

3. Wing Tsun begegnet der Kraft des Angreifers nicht mit eigener Kraft, sondern greift die des Gegners auf, um ihn zu besiegen.

4. Durch Wing Tsun wird mit Hilfe der Übung der „klebenden Hände“ das Gefühl in den Armen entwickelt, so dass der Fortgeschrittene auch im Dunkeln reflexartig kämpfen kann.

5. Wing Tsun lässt sich in verhältnismäßig kurzer Zeit erlernen, da es wenige Grundtechniken gibt, die aber unendlich kombinierbar sind.

6. Wing Tsun erfordert keine besonderen Körperkräfte, schließlich wird nicht gegen die Kraft des Gegners, sondern mit dessen Kraft gearbeitet. Zudem Bedarf es keiner außergewöhnlichen Gelenkigkeit oder Akrobatik.

7. Wing Tsun lässt sich deshalb bis ins hohe Alter betreiben.

8. Wing Tsun kann man, hat man die Grundbewegungen einmal erlernt, eigenständig und ohne Trainingspartner einüben, denn die drei W.T.-Formen lassen sich auf kleinstem Raum üben, und die W.T.-Holzpuppe ersetzt weitgehend den Übungspartner.

9. Wing Tsun ist ein wissenschaftliches System, das dem Denkenden auf Grund der innewohnenden Logik ähnliche Befriedigung schenkt wie etwa das Schachspiel. Im Wing Tsun überlistet die Vernunft die rohe Kraft.

Die 5 traditionellen Trainingsmethoden

  1. Form
  2. Chi Sao (klebende Hände)
  3. Lat-Sao (Sparringübungen)
  4. Spezifisches Gerätetraining
  5. Ergänzungsübungen

1. Form

Die bekanntesten Formen sind:

Siu Nim Tao / Siu Lim Tao („eine kleine Idee Form“):

Hier werden grundlegende Armtechniken isoliert für sich, oder in einfachen Kombinationen geübt. Beintechniken (Iras) kommen in Form des stabilen Standes vor. Zentraler Aspekt dieser Form ist die Körperhaltung und das Verhältnis von Spannung und Entspannung. So beinhaltet das Siu Nim Tao acht Sätze.

Chum Kiu / Cham Kiu („Suchende Arme“ / „eine Brücke bauen“):

Bei dieser Form geht es um Basistechniken, die mit ersten Fußtechniken eingeübt werden. Im Fokus stehen verschiedene Techniken in unterschiedlichen Kombinationen, insbesondere das Zusammenspiel von Arm-, Bein- und Schritttechniken.

Bju Tse / Biu Tze („Stoßende Finger“):

Mit dieser Notfallform sollen Techniken erlernt werden, die es dem Kämpfer ermöglichen, aus ungünstigen Kampfpositionen in aussichtsreichere zurückzugelangen.

Muk Jan Chong / Mok Jan Jong („Holzpuppe“):

Die Holzpuppenübungen gehören zum fortgeschrittensten waffenlosen Unterrichtsprogramm im Wing Tsun, die die Beherrschung der Techniken der ersten drei Formen voraussetzt. Insgesamt gibt es 116 Bewegungen in den Holzpuppentechniken, von denen 16 aus Tritten bestehen, je acht für das linke und acht für das rechte Bein.

Luk Dim Bun Guan / Luk Dim Ban Kwun („Langstock“): 

Man sagt, dass die Langstocktechnik von dem Mönch Chi Shin (auch Gee Sin) überliefert und später von Leung Yee Tai (auch Leung Yee Tei) gegen die waffenlosen Boxtechniken Wong Wah Bos ausgetauscht wurden.

Pa Cham Dao / Bart Cham Dao („Doppelkurzschwerter“, „Doppelmesser“, oder „Schmetterlingsmesser“)

Die Doppelmessertechnik wird als das höchste Geheimnis im Wing Tsun behandelt. Ebenso wie beim Langstock, nimmt man an, dass unter Großmeister Ip Man nicht mehr als vier Personen die berühmte Pa-Cham-Dao-Technik vollständig erlernt haben sollen.

2. Chi Sao

Die wichtigste Übung im Wing Tsun ist das Chi Sao (klebende Hände), dessen Sinn es ist, in Partnerübungen die Reflexe des Kämpfers zu schulen aus denen dann ausgeklügelte Kampftechniken wie von selbst entstehen. Die Reflexhandlung selbst ist eine unbewusste Reaktion auf einen unerwarteten Reiz. Wenn jemand beispielsweise unerwartet mit einer Nadel gestochen wird, wird er wahrscheinlich aufschreien oder eine schnelle Bewegung machen, um der Quelle des Schmerzes zu entgehen. Im Falle eines plötzlichen Angriffes, etwa eines Fauststoßes, würden ungeübte Kämpfer typischerweise erschrocken zurückweichen. Diese Art von Reflexhandlungen wurden vorher nicht geplant und sind nicht das Ergebnis bewussten Nachdenkens. Da die Menschen unterschiedliche Voraussetzungen mit sich bringen, gibt es Menschen, die schnellere Reflexe haben, als andere.

Tatsächlich gibt es Menschen mit sehr schnellen, aber auch solche mit extrem langsamen Reflexen. Der Zweck des Chi-Sao Trainings ist es, beim Übenden eine schnelle und gezielte Reaktion hervorzubringen, eine Reaktion, die viel schneller ist, als die eines Durchschnittsmenschen. Es geht dabei um eine gezielte Reaktion, die geeignet ist, eine Kampfsituation für sich zu entscheiden. Und zwar ohne vorbereitet sein zu müssen, ohne nachdenken zu müssen. Schließlich bleibt bei körperlichen Auseinandersetzungen oftmals keine Zeit, über geeignete Abwehr- oder Angriffsaktionen nachzudenken, denn hierfür gibt uns der Gegner keine Gelegenheit. Deshalb gibt es auch so viele Kampfsportler, die schon seit acht- oder zehn Jahren Abwehr- und Gegenangriffsmethoden üben, aber diese Bewegungen in einem realen Kampf nicht wie gewünscht anwenden können. Grund hierfür ist, dass sie es nie gelernt haben, ohne nachzudenken, reflexartig zu reagieren und dabei das Richtige zu tun.

3. Lat-Sao

Ziel des Wing Tsun Trainings ist es, Kampffähigkeit zu entwickeln. Im Lat-Sao (Freier Kampf) lernt der Schüler, sich angstfrei einem Kampf "eins gegen eins" zu stellen. Er kann sein Können überprüfen, ohne seinen Übungspartner zu verletzen, somit ist Lat-Sao ein wichtiger und motivierender Teil des Wing Tsun. Wing Tsun ist nicht nur ein ausgeklügeltes Kampfsystem, sondern auch eine intelligente Art und Weise zu lernen. Das Wort Freikampf bezeichnet hierbei zweierlei:

1. Die Kämpfer sind "frei" in der Wahl ihres Angriffes oder ihrer Verteidigung.

2. Ihre Arme und Hände sind "frei", d.h. sie sind nicht wie in der Chi Sao Übung zu Beginn in Kontakt mit den Händen des Gegners.

4. Spezifisches Gerätetraining

Um die erlernten Techniken einzuüben und umzusetzen, kommt zudem die Arbeit an Sandsäcken, Wandsäcken, Pratzen, Holzpuppen und Fitnessgeräten zum Einsatz.

5. Ergänzungsübungen

Zur Ergänzung des Trainingsprogramms werden Fauststöße und Tritte in die Luft, Fauststöße mit Schritten oder Wendungen, Kettenfauststöße mit Wendungen als Partnerübung und Verteidigung im Kreis und an der Wand eintrainiert. Manche Ergänzungsübungen können nach Ermessen des Meisters im Einzelfall weggelassen werden, ohne den Trainingserfolg dadurch zu minimieren.

Die 5 Phasen des Kampfes

Das Wing Tsun System gehört zu den wenigen Selbstverteidigungskünsten, die auf den realen Kampf vorbereiten.

Ausgehend von den verschiedenen Distanzen, wird das mögliche Kampfgeschehen in 5 Phasen eingeteilt.

Erste Phase

Kampf mit den Füßen

Um die Entfernung bis zum Angreifer geschützt zu überbrücken, muss es gelingen, mit einer geraden Fußtechnik zum Gegner zu gelangen. Möglich ist auch die Abwehr des tiefen oder mittleren Trittes des Gegners mit einer verlängerten Zirkelschritt- (Vorwärtsschritt-)technik.

Zweite Phase

Kampf mit den Händen

Zeitgleich stoßen Bein und Hände zentral vor, getreu dem Prinzip “Ist der Weg frei, stoße vor!“ Sollte der Widerstand jedoch größer sein, folgen passive Abwehrreaktionen wie Bong-, Tan-, Djam-, Pak-und Kao-Sao. Sobald der Weg wieder frei ist, erfolgt ein erneuter Vorstoß mit harten Kettenfauststößen und schneller Schrittarbeit.

Dritte Phase

Kampf mit Ellbogen und Knien

Die einfachsten Knie- und Ellbogenangriffe bzw. -abwehrtechniken sind Anfangsbewegungen bereits durchgeführter Fuß-oder Handangriffe. Sie entstehen aktiv durch große Nähe des Gegners oder passiv durch gegnerische Blocks oder Angriffe und folgen somit den Prinzipien „Ist der Weg frei, stoße vor!“ bzw. „Ist die Kraft des Gegners größer, gib nach!“.

Vierte Phase

Kampf mit Halten, Hebeln, Immobilisieren, Kontrollieren, Würgen, Werfen, Gegenwerfen

Die vierte Phase gehört zu einem zusätzlichen Aufbauprogramm. Die letzten beiden Phasen sind für die normale Selbstverteidigung nicht so relevant, gewinnen aber z.B. für Polizeibeamte, die überwältigen, aber nicht verletzen sollen, an Bedeutung. Der Fortgeschrittene muss bei seiner letzten Schülerprüfung unter Beweis stellen, dass er einen wild um sich schlagenden und tretenden Angreifer ohne Schläge, Stöße oder Tritte „mit sanften Mitteln“ unter Kontrolle bringen kann. Hierbei handelt es sich aber um Spezialkenntnisse und Fertigkeiten, die man vom Durchschnittsanwender nicht erwartet.

Fünfte Phase

Kampf am Boden

Auch diese fünfte und letzte Phase gehört zu einem zusätzlichen Aufbauprogramm, das Wing Tsun spezifisches Fallen sowie Anti-Bodenkampf-Übungen einschließt. Die Kampfweise am Boden hat oberflächlich gesehen Ähnlichkeit mit Künsten wie Ringen, Judo, Sambo oder Chi-Na. Halten und Hebeln ist hier aber keinesfalls Selbstzweck, sondern dient nur dazu, den Gegner unter Kontrolle und einen eigenen Arm bzw. ein Bein zum Stoß oder Tritt frei zu bekommen.

Die Prinzipien

Die hier aufgeführten Prinzipien stellen eine kleine, beispielhafte Auswahl dar, wie sie in unterschiedlichen Wing Tsun Stilen vorkommen können. Die Prinzipien variieren von Stil zu Stil mitunter sehr stark, aber die verbreitetsten sind folgende:

Kraftprinzipien

Befreie dich von deiner eigenen Kraft.

Befreie dich von der Kraft deines Gegners.

Nutze die Kraft des Gegners.

Füge deine eigene Kraft hinzu.

Kampfprinzipien

Ist der Weg frei, stoße vor.

Ist der Weg versperrt, bleibe kleben. 

Ist die Kraft des Gegners zu groß, gib nach.

Weicht der Gegner zurück, folge ihm.

Yip Man (Auch unter der Schreibweise Ip Man bekannt)

Großmeister Yip Man war nicht nur der Wegbereiter des Wing Tsun-Systems, sondern einer der bedeutendsten Förderer der Kampfkünste in der modernen Zeit. Durch seinen Einfluss und durch seine Schüler konnte das chinesische Kung Fu auch im Ausland Fuß fassen.

Großmeister Yip Man wurde im Namboy-Distrikt der Provinz Kwantung geboren. Er wuchs in Futshan, eine der vier berühmtesten Städte Süd-Chinas, wo das Handwerk florierte, auf. Futshan wird allgemein für den Ursprungsort des chinesischen Kung Fus gehalten. Yip Mans Vater, Oi Doh, entstammte einer alten Kaufmannsfamilie und führte sogar ein Schiff in Hongkong. Die Familie Yip galt in Futshan als sehr vermögend und einflussreich. Ihr Besitz erstreckte sich über eine große Fläche mit zwei gegenüberliegenden Reihen von mehr als zwanzig Häusern im alten Stil, in dessen Mitte der Familien-Tempel des Yip-Clans stand.

In diesem Tempel hatte sich seinerzeit der Wing Tsun-Großmeister Chan Wah Shun für einen längeren Zeitraum niedergelassen, als er Schüler annahm und Wing Tsun lehrte. Im Alter von neun Jahren begann auch Yip Man unter Chan Wah Shuns Leitung das Studium des Wing Tsun-Systems.

Chan Wah Chun traf mit Yip Man keine schlechte Wahl.

Großmeister Yips Erfolg kam nicht zufällig, denn sein Lehrer hatte ihn vorbehaltlos gelehrt und Yip Man widmete all seine Energie und Liebe dem Wing Tsun.

Als China 1949 kommunistisch wurde, verließ Yip Man seine Heimatstadt, eröffnete in Hongkong seine erste Wing Tsun Schule und war über 30 Jahre als Kampfkunstlehrer tätig. Yip Man unterrichtete zahlreiche Schüler in der Kunst des Wing Tsuns, doch der wohl bekannteste unter ihnen ist Bruce Lee.

Lees Vater, Lee Hoi Chuen, und Yip Man waren miteinander befreundet und so trafen Großmeister Yip Man und Bruce Lee in Honkong zusammen,

als Lee das St. Francis College besuchte. Fortan unterrichtete der Großmeister seinen Musterschüler in Wing Tsun. Großmeister Yip Man war der einzige, bei dem Lee die Kampfkunsttechniken erlernte. Da Bruce Lee jedoch sein Studium in Amerika fortsetzen musste, konnte er nicht alle Wing Tsun Techniken erlernen und so entwickelte er seinen eigenen Kampfkunststil- Jeet Kune Do.

Hierbei handelt es sich dennoch größtenteils um Wing Tsun Techniken, kombiniert mit westlichem Boxen, Fechten (Escrima) und Judo.